#Putumayo presents

GYPSY CARAVAN

EXIL MUSIK 9782-2
LC 08972

DISTRIBUTION: INDIGO

 

Immer wenn Putumayo tief in die Historie der Alten Welt hinabtaucht, dann wird's für uns "Einheimische" besonders spannend: so geschehen in der bezaubernden sonnigen Reise rund ums Mittelmeer ("A Mediterranean Odyssey") und erst kürzlich förderten die New Yorker mit "A Jewish Odyssey" so manche, für uns bislang unbekannte Klänge der globalen jüdischen Gemeinde zutage. Dies ist mit der nun vorliegenden Sammlung kaum anders: In den Spuren der jahrhundertealten Treks der Roma und Sinti folgen wir mit seelenvollen, noch nicht dem Salonklischee verhafteten Geigen, ergreifend rauhem Liebes- und Klagegesang, vertrackter Balkan-Rhythmik und feurigen Gitarren zwischen Paris und Andalusien der Geschichte eines Volkes, dessen Odyssee noch immer nicht zu Ende ist.

Wir wissen heute, daß sie nicht aus Ägypten kamen - ein Irrtum, der ihnen den Namen "Gypsies" eintrug. Doch warum die Roma vor mehr als 1000 Jahren aus ihrer ursprünglichen Heimat Rajasthan im heutigen Nordwest-Indien Richtung Persien und Armenien aufbrachen, dies liegt bis heute im Dunkeln. Bald schon teilt sich die Völkerwanderung in zwei Ströme: ein Teil der Nomaden entschließt sich zum Weiterziehen durch Arabien nach Nordafrika, die anderen gelangen über die Pforte der Türkei auf den Balkan und nach Zentraleuropa, schließlich bis auf die iberische Halbinsel. Die Aufsplittung der Roma in verschiedenste Gruppen, Caló und Sinto die bekanntesten unter ihnen, geht mit dieser enormen Streuung einher.

Doch wo sich die Schmiede, Werkzeugmacher, Kesselflicker und Pferdehändler auch niederlassen: der Ruf ihrer exzellenten Musiker, an den Höfen der persischen Könige schon im 5.Jahrhundert geschätzt, begleitet sie wie ein heller Stern. Ihr Geschick, fremde Klänge in ihrer unverwechselbaren Art zu adaptieren und zu bereichern, hat viele Gesichter der traditionellen Musik unseres Kontinents mitgeprägt.

Trotz der extremen Diaspora-Situation, permanenten Verfolgung und Versklavung seit vier Jahrhunderten, trotz des Fehlens einer Schriftkultur gelang es den Roma kraft der oralen Tradition stets, ihre Identität zu bewahren - noch heute kann man im Hinterzimmer eines Konzertsaales Zeuge werden, wie ein steinalter Geiger seinem Urenkel eine Melodie beibringt. Inmitten des hochtechnisierten Europas versteht es die Musikerkaste dieses Volkes noch immer, Kultur durch reines Memorieren weiterzutragen und neu zu formen - die folgenden 11 Stücke bieten hierfür einen faszinierenden Einblick.

Der Name Romanyi Rota (1) bürgt für lebendigen Austausch von ländlicher Roma-Kultur Nordwest-Ungarns mit der Metropole Budapest. Die 1985 gegründete Band baut auf den Errungenschaften der Tanzhaus-Bewegung (tancház) in Ungarns Hauptstadt auf. Diese versuchte schon vor rund 30 Jahren, einen "rootsigen" Gegenakzent zur Salonkultur der schluchzenden Geigen zu setzen, ein Erbe des Kaiserreichs Österreich-Ungarns und seiner romantischen Verklärung des Zigeuners. Während über die feinen Restaurants beliebte ungarische Lieder ins Repertoire der Roma gelangten, geriet ihr eigenes Kulturgut vom Lande ins Hintertreffen. Folk-Ikonen wie Márta Sebestyén und ihre Gruppe Muzsikás holten unter anderem diese vielfarbigen, unprätentiösen Klänge schließlich in die Stadt zurück, der "city folk" etablierte sich. Romanyi Rota demonstrieren uns gleich mit zwei Aufnahmen, wie sie in die Fußstapfen der "Tanzhäusler" getreten sind: mit "Diri, Diri So Kerdjan?" haben sie eine tragische Eifersuchtsgeschichte nach Budapest importiert, in deren Mandolinen- und Bouzouki-Klängen griechische und türkische Einflüsse ihrer Heimatregion spürbar werden. "Korkore Zav Ande Kalyi Rati" verbindet auf engstem Raum den Gypsy-Swing-Rhythmus der französischen manouches mit osteuropäischer Melancholie.

Kalyi Jag (2) ("Schwarzes Feuer") kann für sich beanspruchen, als eines der ersten Ensembles Aufnahmen in der Sprache Romanes eingespielt zu haben, die ihre Wurzeln im Hindi und Sansrit hat. Das sowohl städtische als auch ländliche Repertoire der ungarischen Band hält sich an die den Roma eigene, reduzierte Art zu musizieren, abseits der Einflussnahme der sie umgebenden Kulturen: perkussiver Gebrauch des Milchkrugs, Klatschen und scat-artiger Begleitgesang unter der Hauptmelodie. "Mori Shej, Sabina" ist eine wunderschöne Widmung an das Kind eines der Mitglieder und zugleich Wiegenlied.

Ebenfalls von der ganz besonderen rudimentären Eleganz der ursprünglichen Vokal-Musik der Roma zehrt die Gruppe Ando Drom (11), die 1984 in Budapest aus einer Theatergruppe hervorging. Allerdings haben sie Gitarren und ähnliche verfeinernde Zutaten in ihre Arrangements einfließen lassen. Unverkennbares Markenzeichen der Band ist die ergreifende, durchdringende und zugleich doch zerbrechliche Stimme der Sängerin Mitsou, die auch schon in den Reihen der französischen Gypsy-Band Bratsch und im Soundtrack zu "Gadjo Dilo" erklang. "Sza Tele Zsav" erzählt vom Trennungsschmerz der Roma-Männer, die auf der Suche nach Arbeit Dörfer verlassen müssen.

Die Facetten ungarischer Roma-Musik komplettieren Amaro Suno (9), Hauskapelle im Budapester Fono Music Club. Dort treffen sich all jene Musiker zum Stelldichein, die unter dem Projektnamen "Last Hour" zur Erhaltung und Verbreitung unverfälschter Folklore der Fahrenden Ungarns und Rumäniens beitragen und gleichzeitig landläufige Vorurteile besänftigen wollen. Amaro Suno präsentieren mit "Kutka Avel E Sej Bari" ein bezaubernd schlichtes Lied über ein hübsches und intelligentes Zigeunermädchen, das von allen Männern hofiert wird, wenn sie auf dem Pferdewagen zum Markt fährt.

Die Aura des Legendären umgibt den Sänger Saban Bajranovic (3), der im jugoslawischen Nis geboren wurde. In jungen Jahren als Deserteur zu fünf Jahren Knast auf einer Insel verurteilt, formierte er innerhalb der Gefängnismauern seine eigene Jazzkapelle, die für ihn Startschuss zur Karriere in der Freiheit bildete. Mit seiner Gruppe Black Mamba tourte er mehrmals weltweit und komponierte im Laufe seines Lebens 650 Lieder. Trotz seiner Berühmtheit ist er immer wieder spurlos verschwunden und unauffindbar, der heutige Aufenthaltsort des 66jährigen ist unbekannt. Genau wie der des besungenen Mädchen in "Pena", in das er sich verliebt hat, welches sich aber wie Seifenschaum in einen Traum auflöst. Wirbelndes Akkordeon, schräge Rhythmik und trunkene Bläser machen den Song zu einem typischen Stück von Roma adaptiertem Balkan-Sound auf serbischem Boden.

Im Schmelztiegel Skopje, der Hauptstadt Macedoniens, wuchs Vlatko Stefanovski (4) zwischen Türken, Serben, Albanern und Roma auf. Mit einer der wenigen über Balkan-Grenzen hinaus bekannten Rockgruppe, Leb I Sol, entwickelte er einen einzigartigen Gypsy-Folkrock, geschult durch die verschiedenen Traditionen der macedonischen Vielvölker-Realität. Der "Gyspy Song" stammt aus einem Soundtrack zum gleichnamigen Film, der in eindrücklicher Weise, mit klagender Klarinette, wehmütiger Fiedel und charismatisch vibrierendem Gesang von den Polen des Roma-Universums kündet. "Wir alle haben unseren eigenen Stern, der uns im Leben begleitet. Wenn er scheint, bringt er Glück, wenn er erlischt, ereilt uns das Schicksal."

Folgen wir nun den Klangspuren, die das fahrende Volk im Westen Europas gelegt hat: Kein anderer Musiker seines Volkes hat einen so prägenden und weitreichenden Einfluss ausgeübt wie der französische Sinto-Gitarrist Django Reinhardt, der zusammen mit dem Geiger Stéphane Grappelli die erste genuin europäische Jazzform schuf: den Gypsy-Swing oder swing manouche. Dieser wahrlich swingende Stil mit federndem Bass, virtuos-knackiger Gitarrenkunst und zündender Violine wird vor allem in Frankreich und Deutschland bis heute gepflegt, einer der aktuellen Vertreter ist Coco Briaval (5), der auf den sicherlich bekanntesten russischen Zigeunersong, "Les Yeux Noirs" zurückgreift, in den 30ern einst von Reinhardt im Manouche-Stil popularisiert.

Zwar ist er selbst kein Rom, doch einmalig sind seine Verdienste, wenn es darum geht, Gitans aller Couleur musikalisch zu vereinen: Thierry Robin (6), Gitarrist und Oud-Spieler, hat auf mittlerweile acht Alben vorgeführt, wie spannend eine Synthese aus französischer Manouche-Musik, Gitano-Klängen Iberiens, arabischem Material und Melodien aus der Urheimat der Fahrenden, Rajasthan tönt. Im Fandango "L'Amour S'Envole" vereinigen sich Robins andalusisch gefärbte Gitarre mit maghrebinisch anmutenden Bläsern und dem gedämpft-melancholischen Gesang von Farid Roberto Saadna aus dem südfranzösischen Roussillon im Rumba-Rhythmus der Gitans.

Nicht allein von der Tradition der andalusischen Roma, den gitanos, wurde die Entstehung des Flamenco gespeist, aber heutzutage ist dieses faszinierende Amalgam aus arabischen, jüdischen und sicherlich auch griechischen bis hin zu indischen Einflüssen zum Synonym der Caló von Jerez, Cádiz, Sevilla und anderer Gitano-Hochburgen geworden. Mittlerweile hat sich das Gitarrenspiel, nicht zuletzt durch Paco De Lucia, von seiner Begleitfunktion innerhalb des leidenschaftlichen Gesangs zur eigenständigen Kunstform emanzipiert. Miguel Angel Cortés (7), seit seinem 14.Lebensjahr ein anerkannter Begleitmusiker berühmter Flamenco-Vokalisten, führt in der Tradition seines Idols De Lucia eine lebendige Evolution des Genres durch aufhorchenswerte Details weiter. In "Al Likindoy" lässt er als Fundament neben der Holzbox cajón auch eine arabische darbuka und eine Tabla auftreten und spielt so auf den Exodus-Pfad der Roma an. Das Stück ist ein tanguillo, Derivat des Tango, der zu festlichen Anlässen in Cádiz getanzt wird.

Schließlich machen wir noch bei einer Roma-Band halt, die in der Neuen Welt ihr Zuhause gefunden hat. Djelem (10), nach dem berühmten Wanderlied aller Fahrenden benannt, haben in Kanada mit quebecoisischen, ukrainischen und moldawischen Musikern eine kongeniale Verschmelzung von Balkan, Quebec und Roma-Sound geschaffen. "Codru" schöpft aus der jahrhundertealten Koexistenz rumänischer, ukrainischer und moldawischer Kultur und ruft mit seiner geheimnisvollen, bedächtig daherschreitenden Melodie Bilder des riesigen Waldgebietes Nordmoldawiens hervor.

 

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