RITA RIBEIRO
(gesprochen: Hita Hiberu)

PEROLAS AOS POVOS
(Perlen für die Völker)

EXIL MUSIK 9538-2
LC 08972

DISTRIBUTION: INDIGO


Der Nordosten Brasiliens hat es den urbanen Zentren Rio und São Paulo im vergangenen Jahrzehnt gezeigt: zuerst brachten die Afro-Blocos und der Samba Reggae aus dem baianischen Salvador mit ihren atemberaubenden Feuerwerksrhythmen die Welt um den Verstand, wenig später sorgte die Mangue-Beat Bewegung des Chico Science aus den Sümpfen Recifes für krachige Frischzellenkuren in den müden Ohren der Alternative-Rocker. Der Staffelstab der Kreativität, so scheint es, wandert nun noch weiter nach Norden: aus dem Staate Maranhão kommen derzeit die wundersamsten Blüten brasilianischer Klangeskünste zu uns - und Rita Ribeiro ist ihre Zeremonienmeisterin.

In São Luis, auf einer schmalen Landzunge am Atlantik verbrachte Rita als zehntes von zwölf Geschwistern ihre Kindheit. Die Schätze dreier Kulturen funkeln in der Tradition der dortigen Nordküste: die der Indianer, Schwarzen und Weissen. Die Maranhenser verfügen deshalb über einen ausserordentlich reichen Fundus an Klangmaterial: da gibt es etwa den von Sklaven geformten Tanz tambor de crioula, der die Schönheit des afrikanischen Erbes feiert, das dramatische Prozessions-Spiel bumba-meu-boi, symbolischen Tod und Auferstehung eines Ochsen darstellend, oder auch die musikalisch (und kulinarisch!) besonders reiche Ausgestaltung der Pfingst-Festtage. Aus Pernambuco gibt der Forró seinen Einfluss hinzu und das Amazonas-Becken steuert von der anderen Seite exotisch klingende Tänze wie Carimbó und Sirimbó bei, in denen sich auch noch Spuren der amerindischen Tradition gehalten haben. Die nahe Karibik schließlich tut ihr Übriges, denn von dort weht ganz stark der Reggae hinüber (São Luis ist die Reggae-Hauptstadt Brasiliens!) und ebenso Merengue, der schon damals sein Quäntchen zu der Spezialität des Nordens schlechthin, zum Lambada, hinzugab.

Mit diesem orchideenhaften Mix wächst Rita Ribeiro wie selbstverständlich auf und gibt ihrer Freude an lokaler Kultur erstmals als Mitglied verschiedener Chöre Ausruck, die zu den örtlichen Festivitäten musizieren. Ihrer Liebe für die Stimme folgend, studiert sie ein Jahr lang Gesang in Chile und beginnt 1988, in den Bars ihrer Heimatstadt aufzutreten. Zügig steigt die Sängerin zu einer überregionalen Größe der Música Popular Brasileira auf, stets begierig, Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen zu verarbeiten, was sie vor allem bei Aufenthalten in São Paulo verwirklichen kann. Diese umtriebige Neugier teilt sie mit zwei besonderen Weggefährten, die immer ein Teil ihrer Kunst waren und sind: Chico César aus dem Staate Paraíba und vor allem der Maranhenser Zeca Baleiro, Compagnion seit frühen Tagen. Wie viele "Nordlichter" leben alle drei Künstler mittlerweile als schöpferisches Kleeblatt in São Paulo, wo sie bessere Produktionsbedingungen vorfinden und die Metropolen-Szene mit ihrer spannenden Regionalkultur injizieren, so wie es Ritas Landsleute João do Vale und Alcione schon früher in Rio getan hatten. Einige Songs der männlichen Kollegen stechen auch auf Ritas Neuling brilliant heraus.

Dieser nennt sich "Pérolas Aos Povos" und ist nach "Rita Ribeiro" (Velas, 1997) das zweite Album der 34jährigen. Nach bester Tropicalismo-Manier verschlingt sie alle Facetten des brasilianischen Klang-Bankettes, um sie schließlich wieder, gemixt mit Rock und Pop anglo-amerikanischer Prägung, als noch bunteres Tableau hinauszuhauchen. Urbaner Samba-Funk als Hommage an Jorge Ben oder Reggae in laid back-Spielart vermählen sich mit Lokakolorit in den Texten, in denen die Farbenpracht der Feste im Jahreszyklus atmet, schlichte Liebeslieder im britpoppig anmutenden Arrangement schmeicheln sich zwischen nordestinischen Sprechgesang im Forró-Rhythmus und plötzlich erhebt die Gemeinschaft der Schwarzen ihre Stimme mit einer Melodie aus dem 18. Jahrhundert. Die mal anrührende, mal resolut-geschwätzige, aber immer klare und aufrichtige Stimme dieses neuen Stars hat Produzent Mário Manga mit Witz und Feingespür in äußerst differenzierte Arrangements gebettet, die jeden Song zu einem unverwechselbaren Juwel machen. Wir wollen uns ein paar Preziosen herauspicken:

- Banho Cheiroso (1): eine elegant-swingende Einladung zum Relaxen in den duftenden Pflanzen der brasilianischen Vegetation: "Du solltest ein Aroma-Bad nehmen, um diese Trägheit loszuwerden und Deinem Körper etwas zu gönnen." Die flinke Klarinette, das Cavaquinho und der Rhythmus erinnern an das klassische Genre aus Rio de Janeiro, den Choro. Prominenter Mitmusiker bei diesem Track ist der Gitarrist der Chico César-Band, Swami Jr., um das Arrangement kümmerte sich Zeca Baleiro.

- Há Mulheres (2): im kompakten, melodisch bezwingenden Pop-Arrangement meint man, indische Tupfer zu vernehmen und gar Andeutungen an die Melodien zentralasiatischer Steppen, doch der verbindende Groove ist der des Musikbogens Berimbau, über dem Rita die Inspiration der Muse erbittet.

- Pensar Em Você (4): eines jener fast überirdisch schönen Liebeslieder aus der Feder von Chico César, mit ausgeklügeltem Streicher-Satz und neckischer Oboe nach Machart einer Britpop-Hymne. Hören wir da nicht heimliche Anspielungen an "All You Need Is Love" heraus? Ein heisser Nachfolge-Kandidat für Césars Hit "A primeira vista", bekannt geworden 1994 durch Daniela Mercury.

- Mana Chica (7): meisterhaft verbindet Rita hier lokale afro-brasilianische Tradition mit swingendem Brasil-Pop. Die Melodie geht auf das 18. Jahrhundert zurück und stammt aus dem Repertoire der Sklaven, die zu ihr tanzten, im Rhythmus verbinden sich Ska und vertrackte Afro-Percussion. Zugleich eine Huldigung an Ritas Kindheit: das Lied sang sie schon beim ersten Auftritt mit ihrem Schulchor

- Tô (10): eine Co-Komposition von Zeca Baleiro und Rita, die ohne Zweifel auf die embolada, die Tradition der poetischen Sprechgesänge des Nordostens zurückgeht.

- Na Gira (11): im "Rausschmeisser" huldigt die Maranhenserin schließlich in einem feurigen, von pumpendem Bass und Schlagwerk angetriebenen Partysong der Candomblé-Religion. Donnergott Xangô und die Herrin des Süsswassers, Oxum, werden angerufen und gewidmet ist diese Komposition zwei Legenden des Samba: Clementina de Jesus und Clara Nunes.

Mit diesem kaleidoskopischen, sonnigen Werk hat sich Rita Ribeiro als feste, landesweit geschätzte Größe der neuen MPB etabliert. Gefeierte Shows in allen großen Städten Brasiliens durfte sie 1999 erleben und spätestens ein Auftritt beim Jazzfestival Montreux im selben Jahr, flankiert von Milton Nascimento und Ney Matogrosso, dürften auch die Neugier in Europa geweckt haben. "Pérolas Aos Povos", Perlen für die Völker verteilt Rita Ribeiro an alle, die mit ihren Essenzen zum aromatischen Klangbad ihres hochoriginellen, neuen Tropenpops beigetragen haben. Ein intensiv funkelndes Nordlicht Brasiliens.

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