Tomás San Miguel
ten

EXIL MUSIK 9294-2
LC 08972

DISTRIBUTION: INDIGO

Verbissen haut ein muskulöser Mann mit kantigen Gesichtszügen eine Kerbe nach der anderen in den Baumstamm von enormem Durchmesser. Von schier übermenschlichen Kräften besessen saust das Beil haarscharf an seinen Füßen vorbei ins splitternde Holz. Von jenseits des Waldes antwortet mit regelmäßigem Pulsschlag eine andere Axt — der Rivale. Wessen Baum wird schneller zerbersten? Es geht um die Ehre der Familie...

Eifrigen Programm-Kinogängern werden sich diese Szenen aus dem dramatischen baskischen Film "Vacas" ins Gedächtnis eingebrannt haben. Die Basken mit ihrer geheimnisvollen Herkunft und Sprache, sie scheinen eine besondere Affinität zum Hölzernen zu haben. Denn nicht nur das "aizkolaris", das wettstreitende Stammspalten ist fester Bestandteil der baskischen Bräuche, auch das typischste Instrument dieser Kultur ist untrennbar mit dem Klang des Holzes verbunden. Zwei Tische, auf die Holztafeln verschiedener Länge (zuweilen auch aus Fels oder Metall) gebettet sind und stets von einem Duo im Dialog bedient werden, sind in der Musik europäischer Völker wohl ein einmaliges Phänomen. Schäfern und Bergbauern diente dieses seltsame, tönende Konstrukt namens Txalaparta (sprich: "schalaparta") zur Nachrichtenübertragung über weite Strecken, vergleichbar den afrikanischen Buschtrommeln. Heute hat sie sich inner- und außerhalb der baskischen Musik zu einer faszinierenden Kraft als "klingender Rhythmus" aufgeschwungen. Auch ein Verdienst des vielseitigen Euskadi-Künstler Tomás San Miguel, der dem "Natur-Xylophon" nun zum zweiten Mal ein Album widmet.

Der Komponist, Pianist und Multi-Instrumentalist wurde 1953 in Vitoria-Gasteiz geboren und fühlt sich seit nunmehr 30 Jahren in diversen Gefilden nicht alltäglicher Klänge zuhause. Zunächst studierte er am Bostoner Berklee College of Music und hielt sich sechs Jahre in den Vereinigten Staaten auf. 1985 startete er mit seiner seither vielfach geschätzten Produktion von Musiken für Theater, Tanz, Dokumentar- und Spielfilmen. Gleichzeitig zierte sein Name die Gästeliste der iberischen Stars Gerardo Nunez und Jorge Pardo, er tummelte sich mit Gary Burton, Larry Coryell, Stan Getz und Airto Moreira auf dem Parkett des Jazz, bis er schließlich Anfang der 90er als Akkordeonist mit den Dissidenten zu ihrer legendären Out Of This World-Welttour aufbrach. 1992 kehrte er nach Spanien zurück und vertiefte sich mit "Lezao" (EXIL 5520) in die Wurzeln seiner Heimstätte. Erstmals versammelte er Txalaparta, baskisches Akkordeon und gregorianischen Chorgesang zu einem meditativ-folkigen Soundscape, den "Radio National España" zum besten spanischen Album des Jahres 1994 kürte. Es ist unüberhörbar - in diesem Projekt scheint San Miguel seinen musikalischen Ruhepol gefunden zu haben, eine von stiller Freude beseelte Ausgeglichenheit, die unmittelbar auf den Hörer überspringt.

Das Zusammenwirken des mächtigen hölzernen Fundaments mit 40 menschlichen Stimmen knüpft den roten Faden von "Ten" (= "Gleichgewicht"!), schafft eine Atmosphäre von in sich ruhender, zeitweise nahezu sakraler Feierlichkeit. Diese jedoch — und darin besteht der einmalige Reiz des Albums - bleibt stets mit der Volksmusik des Baskenlandes verbunden, in drei der elf Kompositionen (Track 1, 2 und 10) bezieht sich San Miguel ausdrücklich auf traditionelle Melodien. Melancholisch-düstere Szenarien, imaginäre Mythen heraufbeschwörend, stehen neben ausgelassenen Arrangements von barocker bis rustikaler Heiterkeit. Die lautmalerischen, an der klangreichen baskischen Sprache orientierten Chorpassagen, harmonieren im Wechselspiel mit burlesken Flöten, näselnder Alboka (einem archaischen Steinbockhorn, das mit Zirkular-Atmung gemeistert wird), darunter schreitet unerschütterlich und majestätisch der Herzschlag der Txalaparta in alten baskischen Tanz-Metren. Ein vielgesichtiges Opus, zu dem Künstler aus unterschiedlichsten Lagern beigesteuert haben:

Die Txalapartaris Perdi und Ibon zeichnen für das magische Fundament verantwortlich und stehen im Baskenland für eine Vermittlung zwischen den alten Meistern und der jungen Generation. Sie tragen die Txalaparta nicht nur auf weltweiten Touren aus Euskadi heraus, sondern befassen sich auch unermüdlich mit der Erforschung des Instrumenten-Unikats. Der Samaniego Choir unter der Leitung von Aitor Saéz de Cortázar war seit 1983 viermal Sieger beim Chorwettbewerb von Tolosa und brillierte auch international erfolgreich. Solisten aus seinen Reihen wurden nicht zuletzt aufgrund der Kollaboration mit San Miguel auf dem Vorgängeralbum "Lezao" bekannt. Aus der Liste der beteiligten Künstler springen außerdem die Namen von Javier Paxariño und Kepa Junkera ins Auge. Ersterer hat sich als Saxofonist und Flötist schon auf etlichen Jazzfolk-Scheiben einen klingenden Namen gemacht, letzterer ist der flinke Wirbelwind auf der trikitixa, dem vitalsten aller europäischen Akkordeons und versammelte unlängst auf "Bilbao Hora Zero" dutzendweise Stars der globalen Folkmusik von den Chieftains bis zu Bela Fleck. Hinter der sensiblen und durchdachten Produktion von "Ten" schließlich steht Marlon Klein, als Drummer und Produzent der Dissidenten Pionier in Sachen Weltmusik seit den frühen 80ern und geschätzt durch gemeinsames Arbeiten mit George Harrison, Stephan Eicher, Pili Pili und Angelique Kidjo.

Tomás San Miguel bestätigt mit "Ten", was sein Kollege Kepa Junkera vor kurzem betonte: "Leicht kann der Eindruck entstehen, das Baskenland sei voller verschlossener Separatisten. Im Gegenteil: wir sind neugierig, kreativ und offen — und das wollen wir der Welt zeigen."

Anspieltips:

"Izar" (1): im Rhythmus des baskischen Schwerttanzes Espatadantza swingen die Hölzer von Perdi und Ibon, wie ein erhabener gregorianischer Choral schweben die Stimmen und wechseln sich ab mit schlichten Flöteneinwürfen

"Santa Agueda" (2): ein episch-erhabener Soundtrack mit gemischtem Chor und dem altertümlichen Klang der Alboka, wie aus einem opulenten Historienfilm. Dies alles auf der Grundlage einer weitverbreiteten traditionellen baskischen Melodie

"Between" (3): hier tritt die verzaubernde Solostimme von Yolanda Mateos aus dem Chor heraus, ihre Stimme wird auch keltophile Clannad-Anhänger in den Bann ziehen

"Dindon" (9): die folkloristische Seite von "Ten" kommt zur Geltung: Junkeras Akkordeon und Josu Salbides Flöten laden zum schwungvollen Reigen, der überraschend an eine Choralmelodie von J.S.Bach erinnert

zurück zur EXIL Homepage
Presse-Infos
oder zum Gesamtkatalog

© EXIL MUSIK GmbH - D-91593 BURGBERNHEIM - T 09843-95959 - F 09843-95900 - email: office@exil.de
Abdruck für Presse & Online-Medien erlaubt, Belegexemplar bzw Link erwünscht