Umalali

The Garifuna Women’s Project

 

EXIL 91123-2 / LC 08972/ VÖ: 4.4.2008 / DISTRIBUTION: INDIGO

1. Nibari (My Grandchild) (Gregorio Baltazar Rochez/I. Duran) 3’43”
2. Mérua (Trad., Music by I. Duran) 3’10”
3. Yündüya Weyu (The Sun Has Set) (Sofia Blanco Arzu) 3’57”
4. Barübana Yagien (Take Me Away) (Silvia Baltazar Rochez) 3’34”
5. Hattie (Perfecta Lewis) 4’02”
6. Luwübüri Sigala (Hills Of Tegucigalpa) (Marcelina Fernandez Guity) 3’25”
7. Anaha Ya (Here I Am) (Genera Valerio) 4’13”
8. Tuguchili Elia (Elia’s Ffather) (Elodia Nolberto) 2’17”
9. Ffuleisei (Favours) (Silvia Baltazar Rochez) 2’03”
10. Uruwei (The King) (Ola Flores) 2’02”
11. Áfayahádina (I Have Traveled) (Elueteria Castillo) 3’41”
12. Lirun Biganute (Sad News) (Julia Nuñez) 2’01”


Die Botschaft war ein Schock: Mit Andy Palacio ist am 19. Januar der wichtigste Doyen der Garifuna-Musik im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen eines Herz- infarkts gestorben. Wenn es 2007 eine herausragende weltmusikalische Überraschung gab, dann war dies der sympathische und kluge Mann mit seiner Band The Garifuna Collective. Der Belizer erhielt zusammen mit seinem Produzenten und künstlerischem Partner Ivan Duran den WOMEX Award, tourte weltweit mit enthusiastischer Kritiker- und Publikums-Resonanz und belegte in der Jahresauswertung der World Music Charts Europe den ersten Platz. Posthum soll er nun im April auch mit dem BBC World Music Award geehrt werden. Die Wunde, die Andy Palacios früher und völlig überraschender Tod in die gerade wiedererstarkende Kultur der afro-karibischen Minderheit gerissen hat, ist immens. Hoffnung verheißt ein neues, noch weiter ausgreifendes Musikkapitel der Garifuna-Geschichte* - es wird jetzt unfreiwillig zum Anknüpfungspunkt an das Vermächtnis Palacios. Und so wird die Klanghistorie aus weiblicher Perspektive weitergeschrieben: Umalali - The Garifuna Women’s Project offenbart die stolze feminine Seite der einzigartigen Garifuna-Kultur, die 2001 in ihrer Gesamtheit - mit Sprache, Musik und Tanz - als immaterielles UNESCO-Kulturerbe der Menschheit deklariert wurde. Das ambitionierte Projekt ist Ergebnis einer zehnjährigen Recherche von Ivan Duran und versammelt 13 starke Frauen des zentralamerikanischen Volkes vor dem Mikro. Mütter und Töchter berichten in ihren Balladen, Hymnen und Chants vom harten Daseinskampf, der Gewalt von Hurrikanen, den Mühen des Gebärens, dem Sehnen nach und dem Verlust von Geliebten, dem Alltag mit seinen Freuden und Plagen. Gepaart sind ihre charaktervollen Stimmen wiederum mit feinsinnigen, vorwiegend akustischen Texturen zwischen Karibik-Roots, Rock, Blues, Funk, Afro- und Latin-Kolorit. Konnten wir mit Andy Palacios Album Wátina die strahlende Poetengestalt der Garifuna kennenlernen, so dürfen wir nun in die magische Kammer ihrer Klangschatzhüterinnen eintreten.

Auch wenn Andy Palacio als nationale und mittlerweile auch internationale Ikone der Garifuna-Musik in Amt und Würden gewesen ist, sind es eigentlich die Frauen, die den Schatz der oralen Überlieferung der Volkskultur hüten und hegen und über ein weitaus reicheres Repertoire als ihre männlichen Kollegen verfügen. Dies war Ivan Duran schon 1997 bewusst, als er sich zu einer Reise durch die Garifuna-Dörfer in und jenseits von Belize aufmachte. Sein Ziel: Die auffälligsten unter den weiblichen Stimmen ausfindig zu machen, mit denen er erstmals bei der Produktion des ersten Andy Palacio-Albums Keimoun (1995) in Berührung gekommen war. „Bei den Frauen ist Musik eher Bestandteil des täglichen Lebens“, so Duran. „Sie tragen die meisten Traditionen weiter, sie sind diejenigen, die die Kinder die Garifuna-Sprache lehren, während die Männer draußen beim Fischen sind oder im Ausland Geld verdienen, um die Familie versorgen zu können. Die traditionellen Songs, so erfuhr er, werden oft in Träumen von den Vorfahren übermittelt. Sie haben, ob sie nun in rituellem Kontext gesungen werden oder nicht, und so alltäglich ihre Themen sein mögen, heiligen Charakter.

In einem ersten Schritt baute Ivan Duran seine Mikros in den Küchen, Wohnräumen, Tempeln oder auch auf den Straßen auf, um diese außergewöhnlichen Gesänge, Abaimahani genannt, einzufangen. Beim bloßen Dokumentieren blieb es jedoch nicht lange. In dem umtriebigen Produzenten reifte schnell die Idee, das gesammelte Liedgut in ein Projekt einzubetten, dass die traditionellen Songs auf eine zeitgenössische Ebene heben sollte. Denn Durans Anliegen war und ist es stets, sich nicht im eng abgezirkelten Rahmen der Ethnologie zu bewegen. „Mein Bestreben war es, Songs zu suchen, deren Musikalität und Melodien Menschen auf der ganzen Welt wertschätzen können.“ Zugleich achtete er streng darauf, die Seele und den Geist der ursprünglichen Musik zu bewahren, der tief in der Biographie jeder einzelner der Damen verankert ist.

Nach fünf Jahren des unermüdlichen Suchens und Forschens war die Zeit gekommen: Duran baute in einer kleinen Grashütte beim Küstenort Hopkins ein Studio auf. Zusätzlich zu den schon eingefangenen Vokaltracks fanden sich weitere Frauen ein, um in seinem kleinen Aufnahmeraum von ihrem persönlichen Erbe zu künden. Raue, reife und ungeschliffene sind unter ihnen, genauso aber jugendliche und einschmeichelnde, lamentierende ebenso wie frohsinnige. Es dauerte eine Weile, bis er alle Stimmen versammelt hatte, denn etliche der Ladies waren so eingebunden in ihre häuslichen Pflichten und die Erfordernisse des Alltags, dass sie nicht auf Anhieb seinem Ruf nachkommen konnten. Als schließlich alle Gesänge auf Band gebannt waren, zog sich Duran in seine Stonetree Studios in Benque Viejo zurück und fing an, völlig neue Klangszenerien für die Melodien zu skizzieren. Teils spielte er die Instrumente selbst ein, teils griff er auf die All Star Band Garifuna Collective zurück, die schon Andy Palacios Album einen akustischen Meisterschliff verliehen hatten. Spur für Spur entstanden so verblüffende Kleinode mit mal leichtfüßig dahinfliegender, mal ruppig verzerrter E-Gitarre, Sax-Einlagen, standfestem Bass und einem prall gefüllten Timbre-Koffer an Perkussionsfarben. Viele Melodien sind noch nie zuvor im Kontext von Instrumenten gehört worden, erhalten hier ein gänzlich neues, überraschendes Setting.

Während seiner Recherche- und Recording-Jahre durfte er die Bekanntschaft vieler starker Persönlichkeiten machen, die nun die Stars des Umalali-Projekts geworden sind. Da ist die 54jährige Guatemaltekin SOFIA BLANCO aus Livingston, deren Stimme er erstmals in der Tempelbehausung des alten Garifuna-Sängers Paul Nabor (letztes Jahr mit Andy Palacio auf deutschen Bühnen) hörte. Außergewöhnlich: Sofia hat 30 Jahre lang mit ihrem Ehemann Goyo zusammen gesungen, der ein anerkannter Songschreiber ist und für das Album Gitarrenspuren beigesteuert hat. Ihre Tochter SILVIA BLANCO ist ebenfalls auf zwei Tracks als Leadsängerin mit einer auffallend hochtönenden Stimme zu vernehmen.

Von der jüngeren Generation konnte er die kraftgeladene DESERE DIEGO gewinnen, eine der wenigen Sängerinnen, die mit der Musik ihren Lebensunterhalt bestreiten und bei den traditionellen Heilungszeremonien namens Dügü in Südbelize auftreten – bei diesen Zeremonien treten die Vorfahren als Traumgeister mit der Jetztwelt in Kontakt. Aus Honduras stößt CHELLA TORRES hinzu, die die Stimme für die großartige Metamorphose eines Arbeitsliedes zum Popsong liefert. Eine Rarität ist der Gesang von MARCELINA „MASAGU“ FERNANDEZ GUITY, die einst dem Ballet National Folklorico Garifuna angehörte und sich auf ihr Altenteil in Corazol an der honduranischen Atlantikküste zurückgezogen hat. Weitere großartige Beiträge kommen von JULIA NUNEZ, der Tochter der Dichterin, Sängerin und Schauspielerin Marcela Lewis, sowie von BERNADINE FLORES und DAMIANA GUTIEREZ, die eine Art Garifuna-Blues anstimmen, der vom Rauschen des Ozeans untermalt wird.

Einige herausragende Songs:

- „Nibari“ (1): Die ausdrucksvolle, faszinierend modulationssichere Stimme von Sofia Blanco führt durch diesen schlichten Song zur Gitarre und Garifuna-Drum, der aus dem Alltag geboren wurde: Eine Großmutter weist ihre Enkelin im Teenageralter zurecht, da die im Begriff ist, sich an ein Rumtreiberleben zu gewöhnen.
- „Mérua“ (2): Der erstaunliche Weg eines traditionellen Work Songs: Ursprünglich wurde er gesungen, während das Kanu zu Wasser gelassen, ein Haus gedeckt oder Cassava gestampft wird. Die Melodiephrase, die Chella Torres aus Honduras singt, wurde hier in einen eingängigen Groove mit Afro- und Funk-Färbungen gesteckt, der auf das Konto von Fatboy Slim geht. Der britische DJ entwickelte ein Faible für die Garifuna-Musik und fand sich 2007 zu Sessions auf Ambergris Caye mit dem Garifuna Collective ein.

- „Barübana Yagien“ (4): Ein Liebeslied, das von Sofia Brancos Tochter Silvia mit charmanter Verve gesungen wird. Der Arrangeur Rolando „Chichiman“ Sosa, langjähriger Studiopartner von Ivan Duran, hat eine swingende Nummer mit einem leichten Afropop-Touch daraus geformt.
- „Hattie“ (5): zu rockigen Interludien auf der Gitarre und einem treibenden Paranda-Rhythmus erzählt Sarita Martinez die Geschichte der Leute, die 1961 beim Hurrikane Hattie ihr Hab und Gut verloren haben.
- „Anaha Ya“ (7): zu einem stolzen marschartigen Unterbau und Gitarrenriffs, die sich zwischen der Spielart der Tuareg-Rocker Tinariwen und Jimi Hendrix einpendeln, wird von Chella Torres eine traurige Geschichte erzählt: Eine Frau auf der Honduras vorgelagerten Insel Roatán muss sich Gerüchten zur Wehr setzen, sie würde ihre Tochter zur Prostitution verkaufen.
- „Tuguchili Elia“ (8): Eine knackige Miniatur im Punta-Stil, dem bekanntesten und auffälligsten Garifuna-Rhythmus. Elodia Nolberto heißt die bekannte, oft für Zeremonien angeheuerten Sängerin aus dem belizischen Punta Gorda, die in diesem rockigen Song mit sehnsuchtsvollen Zeilen an ihren Ehemann auffällt.

Das vorliegende Material repräsentiert nur einen kleinen Ausschnitt aus dem reichen Erbe der Garifuna-Frauen. Durans gesamter Bestand an Feldaufnahmen sollen ihrem Volk und interessierten Ethnologen zugänglich gemacht werden, unveröffentlichte Tracks aus den Sessions finden sich im Enhanced-Bereich der Umalali-Scheibe. Diese enthält auch einen Dokumentarfilm von Ivan Durans Frau Katia Paradis, die die Recherchen zum Album mit der Kamera begleitet hat.

Ein anrührendes und begeisterndes, in jedem Falle aber pionierhaftes Klang- dokument der Karibik, dass die weiblichen Aspekte der Garifuna Community ehrt und feiert, die Afro-Kariben der verschiedenen Staaten untereinander verbindet und letztendlich vor der ganzen Welt von ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Empfindungskraft kündet. Dieses Album wird Geschichte schreiben – nicht zuletzt als Fortführung dessen, was Andy Palacio mit seiner engagierten Arbeit auf den Weg gebracht und nicht mehr zu Ende führen konnte.

* Eine kurze Geschichte der Garifuna

Eigentlich sollten die zwei großen Sklavenschiffe menschlichen Nachschub auf die Zucker- und Baumwollplantagen der Karibikinsel St. Vincent bringen. Doch an diesem Tag Anfang des Jahres 1635 sanken sie vor der Küste des Eilands. Die überlebenden Westafrikaner wurden von den Ureinwohnern der Insel, den sogenannten Kariben, aufgenommen und vermischten sich mit ihnen, so lautet die beliebteste Theorie vom Ursprung der Garifuna (wörtl.: „Menschen, die Yucca essen“). Weitestgehend friedlich verlief die Koexistenz der französischen Kolonisatoren und der freien Schwarzen, bis Ende des 18. Jahrhunderts die Briten nach langem Gezerre zwischen den verschiedenen Seemächten die Herrschaft übernahmen. Sowohl Franzosen als auch Garifuna wurden im sog. Karibenkrieg geschlagen, letztere von den neuen Machthabern St. Vincents auf Inseln in der Bucht vor Honduras umgesiedelt. Von dort aus kamen sie schließlich aufs nahe Festland, später auch nach Guatemala und Nicaragua, und eben auch an die Mangroven-Küste Belizes. Sowohl unter der spanischen Flagge als auch unter der späteren britischen Herrschaft (ab 1862 Kronkolonie Britisch Honduras) trotzte die afro-indianische Volksgruppe in ihrer neuen Heimat dem kolonialen System - und es gelang ihr, bis heute, da die Garifuna 120.000 Menschen zählen (dazu kommen 50.000 im US-amerikanischen Exil), eine eigenständige Kultur und Sprache zu bewahren.

Igñeri heißt ihr Idiom, das sich aus Yoruba-Elementen, französischen, englischen und spanischen Bestandteilen zusammenfügt. Ebenso vielschichtig ihre musikalischen Traditionen, die bekanntesten unter ihnen Paranda, Brukdown und Punta. Sie gehen einerseits auf die Überlieferung westafrikanischer Kulte zurück – so findet man in der Punta Call & Response-Schemata und die Bewegungen des Werbetanzes. Indianische Einflüsse sind jedoch auch nicht von der Hand zu weisen, und neben den Trommeln und Perkussionsinstrumenten, siedelt die von den Spaniern adaptierte Gitarre in den Garifuna-Liedern. Textlich unterscheiden sich die Garifuna-Genres erheblich: Im Brukdown werden satirisch Alltagserlebnisse aufs Korn genommen, im Paranda geht es eher um kritische Kommentare zu geschichtlichen und sozialen Ereignissen. Im heutigen Belize stellen die Garifuna nur 7 Prozent der Gesamtbevölkerung, arbeiten vielfach als Fischer und Arbeiter auf Bananenfarmen. Dass man von ihrer Kultur über die Landesgrenzen hinaus spricht, ist nicht zuletzt das Verdienst von Andy Palacio, seines Produzenten Ivan Duran und dessen Label Stonetree Records.

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