Putumayo presents

A NATIVE AMERICAN ODYSSEY

EXIL MUSIK 8614-2
LC 08972
DISTRIBUTION: INDIGO

Ein heute nahezu unsichtbares, geheimes Geäst von kulturellen Pfaden schlängelte sich vormals von den eisigen Ufern der Hudson Bay hinunter nach Feuerland. Ein faszinierendes Gewirr von Klangspuren, eine tönende, in Vergessenheit geratene Panamericana, die voller Leben war, als das Wort "Amerika" noch gar nicht existierte. Die - so nimmt man an - vor rund 10000 Jahren über die Beringstraße eingewanderten nordasiatischen Nomaden entfalteten über die gesamte amerikanische Landmasse eine unüberschaubare Zahl von Kulturen, die zu den sagenhaften, hochentwickelten Zivilisationen der Maya, Azteken und Inca, weiter im Norden zu denen der diversen Indianer-Völker und der Inuit führten. Was vor etwa 500 Jahren begann, ist bekannt: Genozid und Zusammenpferchung in Reservaten oder kaum weniger verheerende Missionierung und Kolonialisierung der Natives haben einen Niedergang kultureller Schätze verursacht, der nicht mehr wiedergutzumachen ist. Nichtsdestotrotz erheben Amerikas Ureinwohner allerorten wieder vermehrt ihre Stimme: was aus ihren Kulturen überlebt hat, koppeln sie schlagkräftig mit poppigen und folkigen Elementen der Weißen und drängen damit ihre Probleme aber auch Lebensweisheiten ins Bewußtsein der ehemaligen "Eroberer". Putumayo hat auf diesem Sampler die eindrucksvollsten Beispiele einer weit von jeder Verklärung und Romantisierung entfernten Bewegung zusammengetragen.

Über Grönland, den Norden Sibiriens, Alaska, und etliche Staaten Kanadas erstreckt sich das Siedlungsgebiet der Inuit, von benachbarten Indianern verächtlich Rohfleischfresser (Eskimos) getauft. Die kanadischen Inuit stellen nach den grönländischen die stärkste Gruppe und bei ihnen hat sich eine Vielfalt von Liedformen erhalten, die vom lautmalerischen Katachak der Frauen (eine Ausprägung des Obertongesangs) über Spiel- und Wiegenlieder bis hin zu Schmähgesängen reicht. Das Frauenduo Tudjaat greift eine dieser traditionellen Gesangsformen namens pisiq auf und setzt die Verse in der Originalsprache Inuktitut, die einen Mann schelten, der sich nicht geziemend für eine Jagd angezogen hatte, zu poppigen Gitarren und von Schamanentrommeln inspirierter Percussion. Madeline Allakariallak, die mit ihrer Cousine das Duo Tudjaat bildet, wurde als Background-Sängerin bei Susan Aglukark entdeckt, dem größten Inuit-Popstar Kanadas.

Wie weit die zeitgenössische Musikkultur insbesondere der kanadischen Natives schon das Pop-Territorium erobert hat, zeigen auch Claude McKenzie und Florent Vollant von Kashtin. Sie gehören den Montagnais an, einem Indianer-Volk, das heute an der Nordküste des Staates Quebec ansässig ist. In ihrer Sprache Innu geben sie in Akua Tuta, einem vom Powwow-Rhythmus getragenen Popsong mit Cajun-Einschlag, ein eindrückliches Zeugnis ihrer Situation ab: im Bewußtsein, sich durch den Einfluß der Weißen weit von ihrer Vergangenheit entfernt zu haben, rufen sie die Wichtigkeit ins Gedächtnis, für Mutter Erde zu sorgen - ihre Appelle ertönen mittlerweile auf drei äußerst erfolgreichen Alben und in den landesweiten Radiostationen Kanadas.

Einen folkrockigen Weg schlägt Jerry Alfred auf Neenda ein, um die Tradition seines Volkes, der Tutchone aus Yukon weiterzutragen. Als "Song Keeper" trägt er die Verantwortung, eine Möglichkeit zu finden, Sprache und Musik der Tutchone auch an die rap- und rockbegeisterten jungen Indianer weiterzugeben. Nicht nur das scheint ihm mit seinem Projekt Medicine Beat geglückt zu sein - selbst außerhalb Kanadas interessiert man sich nun für den Mann, dessen 1995er Album "Etsi Shon" dort zur besten Native-Produktion gekürt wurde.

Die auf dem heutigen Gebiet der Vereinigten Staaten lebenden Indianer sind mit drei Vertretern präsent: der Apache Andrew Vasquez aus Oklahoma steht für eine der bekanntesten Ausdrucksformen indianischer Naturverbundenheit: das Spiel auf der Flöte, zu der er nur durch Zufall kam. Als Mitglied des American Indian Dance Theater begann er tanzend und singend seine Laufbahn, bis er durch einen Handel seine erste Flöte erlangte, mit deren Klängen er zunächst die Pausen der Theater-Aufführungen schmückte, nach und nach aber eine eigene Solo-Laufbahn einschlug. Die eindrückliche Naturpoesie des gesprochenen Wind River zeigt die tiefen Quellen seiner Einflüsse auf, die sich unter anderem aus Erntefesten und Gebetszeremonien der Apache speisen.

Bill Miller aus Zentral-Wisconsin geriet durch einen Besuch in Chicago mit dem Blues in Berührung - diese Begegnung mit der Tradition der Schwarzen in einem weiß dominierten Amerika öffnete ihm Augen und Ohren für die Vergangenheit seiner eigenen Minderheiten-Kultur. Fortan war es sein Ziel, Mohikaner-Erbe und zeitgenössische populäre Kultur in Einklang zu bringen, Native Flute und E-Gitarre zu paaren und in den englischen Texten Bezug zu altem Brauchtum herzustellen. Der drivegeladene Titel über die Ghost dancers ist ein überzeugendes Beispiel für indianische Adaption amerikanischer Rockharmonik und -melodik.

Burning Sky schließlich vermittelt auf instrumentalem Wege zwischen indianischen und hispanischen Klängen. Flötist Kevin Bizahaloni und Gitarrist Aaron White von den Völkern der White River Ute und der Dine kreieren mit dem Drummer Michael Bannister einen lyrischen Soundtrack für den Südwesten der Staaten, wo Latin-Einflüsse, widergespiegelt in Whites flamencogefärbtem Saitenspiel, mehr als latent spürbar werden.

Jaramar Sosa hat sich einen Namen als Spezialistin für indigene Kulturen Zentralamerikas gemacht. In modernem Kontext interpretiert sie vorzugsweise Lieder aus der Oaxaca-Region Mexikos, der Heimat der Zapotec-Indianer mit ihrer klangfarbenreichen Sprache und einer Hochkultur, die denen der Maya nicht nachstand. Aus dem traditionellen Fundus der Huave hören wir einen Song über das Sammeln von Schildkröteneiern, der üblicherweise als Hochzeitstanz aufgeführt wird.

Wie sich Zapotecanisches unter spanischem Einwirken zu einer bunten Mestizenkultur entwickelte, zeigen Binni Gula'za. Stetig um Ausgleich zwischen Tradition und Moderne bedacht, pflegt das Vokaltrio das Repertoire der Sones Istmeños aus der Landenge in Südmexiko. Dabei begleiten sie sich mit zwei Gitarren und dem kleinen Zupfinstrument requinto, typisches Melodieinstrument bei den Boleros, eine Besetzung, die später durch Bläsersätze verdrängt wurde. Bei N'bixi Dxi Zina handelt es sich um ein Liebeslied, für die zapotecanische Künstler in ganz Mexiko geschätzt werden.

Mit Marlui Miranda betreten wir den südamerikanischen Kontinent. Die Amazonas-Indios teilten zwar nicht das Schicksal der Ausrottung mit ihren nordamerikanischen Verwandten, doch verschwand ihre Kultur nahezu vollständig durch den missionarischen Eifer der Jesuiten, die ihnen ihren Katholizismus aufpfropften, zudem wurde die Musik der brasilianischen Indianer einfach von der neuen kraftvollen Koppelung aus afrikanischer Polyrhythmik und europäischer Harmonik und Melodik während der Kolonialisierung des Tropenreichs überdeckt. Marlui kommt der große Verdienst zu, als Sproß von Jesuiten- und Indio-Vorfahren seit 20 Jahren unermüdlich für die Freilegung der Überreste der Amazonas-Musik einzutreten. Dies tat sie auf ihrem fantastischen facettenreichen Album Todos os Sons (Alle Klänge), (EXIL 5532) von dem der vorliegende Track der Parakan-Indianer stammt. Marlui erhielt für dieses Album den Preis der deutschen Schallplattenkritik 1997.

Eine weitere Stimme der "Stimmlosen" vom Amazonas ertönt in Gestalt von Regional Vermelho e Branco aus dem unzugänglichen Gebiet des Javari-Tals. Hier wurde erst unlängst, vor 25 Jahren, eine Kolonialisierungsmaßnahme der brasilianischen Regierung durchgeführt: man riß Indios verschiedenster Gruppierungen mit ihren eigenen Sprachen und Kulturen aus ihrem vertrauten Umfeld heraus und siedelte sie hier an. Die absehbaren Folgen - kriegerische Auseinandersetzungen und schließlich Auslöschung einiger Gruppen - machten die Ausbeutung durch die weißen Siedler umso einfacher. Mit melancholichen Flöten- und Gitarren-Sounds im modernen Gewand sowie einer Gedichtrezitation wird an diese brutalen Aktionen erinnert.

Drei Stücke mit Wurzeln im ehemaligen Territorium des riesigen Inca-Reiches beschließen die CD. Los Incas, Aushängeschild der Andenkultur auch in Europa, brachten die bestechende Kombination der Panflötenfamilie der Zampoñas mit dem winzigen und doch so durchdringenden Saiteninstrument Charango schlagartig in die internationalen Hitparaden, als 1965 ein gewisser Paul Simon das Traditional El Condor Pasa mit ihnen einspielte. Auch dreissig Jahre später gehören "Los Incas" nach wie vor zu den erfolgreichsten Repräsentanten peruanischer Musik. Noch tiefer in die Riten und Bräuche der Incas tauchen hier die Landsmänner von Expresión ein. Das Quintett fand Mitte der 70er in der einstmaligen Hauptstadt des Inca-Reiches, in Cuzco zusammen und greift in einer ausschließlich mit Zupfinstrumenten gestalteten Miniatur auf die Yaravi- und Huayno-Zeremonien zurück.

Der stolpernde Rhythmus des Charango und klagende Vocals prägen den eigentümlichen Song Chayantenita, in dem Bolivia Manta - ein im europäischen Exil arbeitendes Ensemble - mit einem unüberhörbaren Schuß Selbstironie den betrüblichen Zustand eines Mannes darstellt, der über den Verlust seiner Liebe reflektiert. Wie ihre peruanischen Kollegen ist auch diese Formation darauf bedacht, indigene Andenkultur lebendig zu halten, indem sie die spanischen Einflüsse nicht ignoriert.

 

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