”Wir alle sind ‚Afropäer’, haben ein gemeinsames Ziel”, singt Manou Gallo in einem ihrer neuen Songs. “Wir beziehen alle Position, wir sind keine Führer, doch wir sind Lautsprecher.” Starke Worte von der hochenergetischen Bandleaderin, Bassistin und Perkussionistin aus der Elfenbeinküste, die uns vor dreieinhalb Jahren schon mit ihrem Debüt Dida den Atem verschlagen hat: Knackige Funk-Grooves mit HipHop-Einsprengseln, Rockgitarren, Blues-Riffs und vor allem immer wieder die charismatischen Chöre, die an Zap Mama erinnerten: Dieser Mix war bis dato einzigartig progressiv in der afrikanischen Musik und zugleich unglaublich urban – ein ausbalancierter Spagat, der die Biographie Gallos zwischen den Kontinenten schlüssig abbildete. Nun setzt die dynamische Ivorerin zum zweiten interkontinentalen Sprung an - ihrem Reifezeugnis, das sie selbstbewusst einfach Manou Gallo nennt. Ein Werk, das in Klang und Vers eine stolze Bande zwischen Schwarzafrika und dem Westen etabliert. Und wiederum stellen wir fest: Das Prädikat ”Powerfrau” ist heutzutage reichlich überstrapaziert – bei Madame Gallo jedoch passt es wie die Faust auf Auge, oder besser: Wie ihre wirbelnden Hände auf Griffbrett und Trommel.
Das trommelnde Mädchen
Die Geschichte der 1972 geborenen Manou Gallo hat
mythische Qualitäten: Sie glaubt fest daran, dass ihre Urgroßmutter ihr auf
dem Sterbebett genau jene Kräfte übertragen hat, die Manou zur Musik gebracht
haben. Zunächst wächst sie ganz normal im kleinen Dorf Divo im zentralen Westen
der Côte d’Ivoire auf, lernt schon als Kind die Wertschätzung für die Kultur
der Djiboi, so der Name ihres Volkes. Was auffällt,
ist die Anziehungskraft all dessen, was Beats erzeugen kann: Töpfe, Büchsen,
Eisenstücke, Schenkel. Und so kommt es schließlich zum entscheidenden Moment
ihrer Berufung: Bei einer Beerdigungszeremonie fehlt ein Trommler – und wie
von fremder Hand gelenkt nimmt die achtjährige Manou seinen Platz am rituellen
Schlagwerk ein, meistert ihren Part ohne jegliche Ausbildung. Ungläubig und
geschockt nimmt dies die Dorfgemeinschaft wahr, die an Hexerei glaubt. “Ich
spürte die Kraft meiner Vorfahren”, wird sie später sagen. Fortan ist sie
akzeptiert und respektiert als Trommlerin, schult weiter ihre Fähigkeiten
als Rhythmusgeberin und –schöpferin und ist hochgefragt, wenn es um Feierlichkeiten
jeglicher Art geht.
Jugendidol und Künstlerdorf
Sie ist zwölf, als sie erstmals im Rahmen von Kulturferien aus Divo
herauskommt und in einem musikalischen Schauspiel mit anderen Kindern ihre
eigene Geschichte, die der kleinen, trommelnden Zauberin erzählt. Schließlich
wird sie in die Reihen der Gruppe Woya aufgenommen,
die von der Hauptstadt Abidjan herkommend in Divo Station macht. Hier entdeckt
sie die elektronisch verstärkten Instrumente wie Gitarre, Schlagzeug - und
den Bass. Darüber hinaus trifft sie auf ihren zukünftigen Mentor Marcein
Yacé. Mit ihm und seiner Truppe tourt sie bis 1989 durch ganz Westafrika,
erfährt, wie es ist, ein Jugendidol zu werden – denn die Band wird mit ihrer
Afro-Zouk-Mélange äußerst erfolgreich. Nach der Auflösung der Combo bleibt
Manou bei Marcein, der sie in Abidjan unter ihre Fittiche nimmt, ihr den ersten
E-Bass vermacht und dafür sorgt, dass sie ins panafrikanische Künstlerdorf
Ki-Yi Mbock gehen kann. “Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon: Ich will Musikerin
werden und all meine Energie in dieses Ziel investieren”, erklärt die Zielstrebige.
Bei Zap Mama
Ki-Yi Mbock ist zu diesem Behufe die denkbar beste Umgebung: Sie lernt nicht
nur eine Vielzahl traditioneller Stile und Rhythmen kennen, sondern wird auch
Mitglied der Tanz- und Theatergruppe, nimmt an der Aufnahme eines Ray Lema-Albums
teil. Ab 1992 weilt Zap Mamas Manager Michel de Bock mehrmals in Ki-Yi. Die
Fähigkeiten der quirligen Nachwuchsmusikerin graben sich in seine Erinnerung
– und kommen genau in dem Moment wieder an die Oberfläche, als Marie Daulne
für ihre schillernde Band, die sich vom A-Cappella-Outfit zum knackigen Band-Act
entwickelt, einen vakanten Bass-Posten hat. Manou Gallo wird nach Brüssel
eingeladen und setzt sich trotz immensen Konkurrenzaufgebots binnen dreier
intensiver Audition-Tage durch: Die neue Zap Mama-Bassistin ist gefunden.
“Marie und ich sind zwei wirklich starke Künstler-Persönlichkeiten. Die Begegnung
war sehr fruchtbar, für beide von uns. Zap Mama bedeutete für mich eine Öffnung“,
so beurteilt sie die Jahre, während derer sie mit der afro-europäischen Band
um die Welt tourt. Doch ihr schöpferischer Freiheitsdrang ist noch größer
als der Reiz, eine der “Zaps” zu bleiben. 1999 begibt sie sich in des Teufels
Küche, indem sie als einzige Frau mit den fünfzehn kongolesischen Trommlern
der Tambours de Brazza auf die Bühne geht. Und beim
englischen Riesenfestival in Glastonbury gastiert sie bei den Weltbeat-Pionieren
Dissidenten, die sie fortan öfters auf der Bühne
begrüßen. Das neue Jahrtausend feiert sie schließlich mit der Rückkehr in
die Heimat – neue Inspiration wird getankt: „Hier in Europa habe ich die Vermischung
der Kulturen kennen gelernt, den weiten Blickwinkel. Aber jedes Mal wenn ich
in mein Land zurückkehre, entdecke ich die Klänge und die Rhythmen aufs neue,
die während der Kindheit in meinen Ohren widerhallten. Ich wollte jetzt eine
Musik kreieren, die die verschiedenen Schritte meines Lebens in einem Mix
wiedergibt.“
Le Djiboi und Dida
Nachdem sie ihre Erbsubstanz aufgefrischt hat, startet das große Vorhaben
von der neuen Basis Brüssel aus: Benannt nach ihrem Volk heißt die Band, mit
der sie 2001 den Schritt in ihre Solokarriere wagt, Le
Djiboi. Und wie schon das kleine Mädchen in der Theatergruppe ihre
Geschichte erzählte, tut sie dies nun auf multikultureller Ebene von einer
höheren, atemberaubenden Warte aus auf dem ersten Album
Dida, das 2003 erscheint. Auf Festivals in
ganz Europa erlebt das Publikum die schier nicht zu bändigende Bühnenpräsenz
von Manou Gallo & Le Djiboi:
Die fliegenden Rastazöpfe zwischen fulminantem Trommelgewitter, aufbegehrender
Stromgitarre und funkigem Bass – ob auf der WOMEX in Sevilla, der MIDEM in
Cannes, dem Afro-Pfingsten in Winterthur oder dem Africa-Festival Würzburg.
Doch die Rastlose hat 2005 schon ein weiteres Eisen im Feuer: Die “Manou
Gallo Experience” spiegelt in einem Trio ihre Vision von der modernen
afrikanischen Frau in Europa noch konzentrierter auf der Bühne wider. Und
ihr Name wird nun auch auf anderen Kontinenten ein Begriff: Chicago, Louisiana,
Mexico City und Johannesburg werden von der Show der ivorischen Miss Dynamite
aus Divo in den Bann gezogen. Ein ganz neuer Horizont tut sich Ende des Jahres
auf: Manou Gallo ist bei der Kreation des Theaterstücks La Femme Fantôme (aus
der Feder der britischen Autorin Kay Adshead) dabei, entwirft Musik und Klänge
für das Szenario und agiert an der Seite der ebenfalls schwarzen Schauspielerin
Carole Karemera auch auf den Bühnebrettern. In der Produktion des Theâtre
de Poche Bruxelles geht es um eine afrikanische Journalistin, die in England
politisches Asyl sucht und in einem Monolog die entwürdigende Prozedur der
Immigrationsbemühungen vor Augen führt. Das Stück ist so erfolgreich, dass
es gerade eben, im Januar 2007 wiederaufgenommen worden ist.
Reife Rückkehr: Das neue Album
Parallel zu all dieser Umtriebigkeit reift jedoch die zweite Solo-Scheibe
heran, die den wohl gewaltigsten Schritt in der Laufbahn Manou Gallos bedeutet.
“Dida habe ich noch zusammen mit Freunden aufgenommen, das neue Album ist
viel persönlicher, viel reifer. Ich habe nun alles in Eigenregie entwickelt
und bin für das Konzept, die Arrangements und die Produktion selbst verantwortlich,
spiele auch fast alle Gitarren und die Perkussion – deshalb habe ich es einfach
Manou Gallo genannt. Dieses Album bin ICH”, sagt sie stolz. “Und es ist nicht
mehr eine Musik, die die Texte begleitet, der Bass und die Rhythmen sprechen
mit einer genauso starken Stimme wie die Texte.” In einem kreativen Kraftakt
hat die 35jährige ein gewaltiges Spektrum aufgefächert: Vom funkigen Uptempo-Opener,
der die Brücke Abidjan – Brüssel feiert, über die Innerlichkeit einer Ballade
von gescheiterter Liebe geht die Reise, macht Station bei einem nächtlichen
Duo-Flanieren mit der Gesangesschwester Véronique Jêrome, preist über verzahnten
Beats die Frauen auf der ganzen Welt. Apropos Fraulichkeit: Auch hier ist
ein Wandel zu erkennen. “Früher wollte ich immer stark und cool wirken”, reflektiert
sie. “Doch jetzt habe ich meine Sensibilität, meine Intimität entdeckt. Jetzt
singe ich auch über die Liebe.”
Manou Gallo spielt mühelos auf der Klaviatur der
interkontinentalen Grooves, schichtet ihre Stimme mal in unbeschwerten Chören,
dann wieder in schmerzerfüllter Klage über den Tod des geliebten Mentors Marcelin
Yacé, oder ruft zur panafrikanischen, ja planetarischen Solidarität auf. Sie
vermittelt spielerisch zwischen erdig-handgemachter Trommelarbeit, den festiven
Rhythmen der Djiboi und Drum’n’Bass-artigen Einschüben, führt gewagt von harschem
Hipfunk zu melancholischen Passagen. Und lässt schließlich im Finale ihren
Werdegang vom trommelnden Mädchen zur reifen Musikerin als fröhlichen Rundgesang
Revue passieren. In einigen Tracks greift sie auf Sidemen und –women zurück,
die besondere Färbungen in den persönlichen Sound einbringen: Wah Tanga Rema
aus Burundi treffen wir wieder, seine Talente ertönten schon auf Dida, darüber
hinaus war er schon in den Reihen von Zap Mama als gewitzter Vokalist zu finden,
hat sich in der Vergangenheit für Landsfrau Khadja Nin als Songschreiber betätigt
oder für Charlie Mariano und Jasper van’t Hof auf der Pork Pie-Platte „Operanoïa“
(1996) gesungen. Autodidakt Patrick Dorcéan verfügt über haitianische Wurzeln
und war trommelnd auch bei Khadja Nin oder der Chansonière Maurane zu hören.
Auch die Dänin Lene Christensen ist als helle Stimmfärbung wieder mit an Bord.
Doch es gibt auch jede Menge neuer Gesichter aus dem Patchwork der Metropole
Brüssel. Véronique Jêrome etwa, eine Bühnen-Kameradin Manous, die sich zu
einem “himmlischen” (s. Anspieltipps) Duett eingefunden hat, oder der legendäre
afro-belgische Rapper Balo von der Posse Starflam, der als schlagfertiger
Übersetzer ins Französische Manous Botschaften aus Schwarzafrika übermittelt.
”Ich hatte das Glück, in einem afrikanischen Dorf aufzuwachsen und kann heute
immer noch aus meinem traditionellen Brunnen schöpfen”, so erklärt die Ivorerin
dankbar. “Ich konnte reisen und meine eigene Sprache in einem langen und schwierigen
Prozess herausbilden. Ich bin Afropäerin, habe einen E-Bass und bin funky.
Es gibt keine Grenzen: Ich bin ein Vogel, der frei herumfliegen kann. Die
Zeit, in der man Afrika mit dem Image des Bananenröckchens verbunden hat,
ist definitiv vorbei.” Der lange Weg der Manou Gallo hat nicht nur ihre Persönlichkeit
reifen lassen sondern verändert gar das überkommene Bild von afrikanischer
Musik – ihr zweites Album kündet in jedem Takt, mit jedem Rhythmus und jeder
gesungenen Silbe davon. Das hat übrigens sogar einer der größten Stars der
Afro-Musikhistorie entdeckt. Manu trifft Manou: Zum 50. Bühnenjubiläum Manu
Dibangos wird Manou Gallo am 20. März 2007 in Paris als Ehrengast zugegen
sein.
Anspieltipps:
- “Terre” (5): Eines jener Meisterwerke zwischen
hochkomplexer Rhythmik und weichem Chorsatz, die charakteristisch für Manou
sind: “Wenn es bei deinem Nachbarn brennt, hilf ihm, denn wenn eines Tages
dein Haus in Flammen stehen sollte, wirst auch du Hilfe brauchen.” So erklärt
sie diesen engagierten Text, der zum einen auf den Bürgerkrieg und die nachbarschaftliche
Hilfe zwischen der Elfenbeinküste und Liberia anspielt, zum anderen aber auf
eine Welt ohne Grenzen, in der die afropäische Vermischung befruchtend regieren
soll. Ein Parforce-Ritt mit unerwarteten Tempi-Wechsel, kantigen Bass- und
Gitarrenriffs und herzzereißenden Zwischenspielen.
- “Stars” (6): Das Duett zwischen Véronique Jêrome
und Manou webt ein polyrhythmisches Chorgeflecht über kräftigen Trommel-Statements
und knalligen Akzenten der Band. Die beiden Sängerinnen sehen sich als Sterne,
die sich im Himmel amüsieren und den Glanz ihrer Stimmen feiern.
- “Woyak lolo” (7): Manous wunderbare, packende
Hommage an ihre Jugend. Basierend auf einem Stück ihrer damaligen Band Woya
hat sie hier einen grandiosen Ohrwurm kreiert, in dem der Rapper Balo das
I-Tüpfelchen aufsetzt. Wurde im Ursprungstext noch der Geschichtenerzähler
im Afro-Dorf gepriesen, geht es hier um darum, dass jeder Musiker in der heutigen
Zeit zum “Lautsprecher” seiner Leute werden sollte.
- “Adolo” (10): Ein Afrobeat-Groove als Keimzelle
zu einem spielerischen Nonsense- Silben-Song mit dynamischem Ba
ss-Spiel, wendigem Chor, aufgekratzer Wah-Wah- Gitarre und einer sich stetig
verdichtenden Intensität um die fast perkussive Stimme Manous.
Mit Baumaterial aus dem rhythmischen Reichtum Westafrikas,
aber auch aus Rock, Funk und HipHop errichtet Manou Gallo auf ihrem zweiten
Wurf eine der stolzesten Soundbrücken zwischen Afrika und Europa .
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