Miriam Makeba

REFLECTIONS

EXIL 4958-2 LC 08972 VÖ: 09.08.2004 DISTRIBUTION: INDIGO

 

Ein halbes Jahrhundert Karriere konnte sie vor kurzem feiern. Sie landete Hits auf dem ganzen Erdball, war als erste afrikanische Frau in den US-Charts, hat Zeitgeschehen auf der politischen Bühne mitgeformt, spielte vor Papst, Präsidenten und Königen. Wäre bei irgendeiner afrikanischen Künstlerin der Begriff "Weltstar" angebracht, so bei Miriam Makeba. Mit 72 könnte sich "Mama Africa" getrost aus dem Musikgeschäft zurückziehen. Doch es gehört zu den schönsten Momenten in der künstlerischen Laufbahn einer großen Persönlichkeit, wenn sie im Alter nochmals ihr Publikum verblüffen kann. Und die Überraschung ist mit ihrem neuen Werk perfekt: Nach ihrem sehr zeitgenössischen Album Homeland, das im Jahr 2000 mit allen Finessen moderner Pop-Produktion aufgewartet hatte, fühlt man sich bei Reflections nun in frühere Hoch-Zeiten versetzt. Mehr als einen Moment lang fragt sich der geneigte Hörer, ob hier unentdeckte Versionen von Makeba-Klassikern den unverhofften Weg aus Archiven gefunden haben. Doch weit gefehlt: Jede einzelne Perle des Albums ist eine Neueinspielung.

Eigenhändig hat Miriam Makeba ihre liebsten Songs herausgepickt und spannt den Erzählbogen zurück in bewegte Zeiten ihrer langen Karriere. Ihr Team greift in den Arrangements treffsicher den Sound der jeweiligen Periode auf — dies jedoch derart präsent, dass die CD nie in bloßes Zelebrieren von Nostalgischem verfällt. Federführend in der Produktion ist der Kapstädter Musiker Ringo Madlingozi, der mit Hugh Masekela oder Simply Red gearbeitet hat, mit Papa Wemba auf Tour war und sich in der südafrikanischen Szene mit einigen exzellenten Solo-Alben etabliert hat. Ihm zur Seite stand Miriam Makebas Enkel Nelson Lumumba Lee, der bei einem der Titel gar als männlicher Duettpartner seiner Großmutter hervortritt, als Keyboarder eingreift und mit der Enkelin Zenzi Lee im Backgroundchor mitwirkt.

Etliche Jazzmusiker der ersten südafrikanischen Liga sind in Makebas Backing Band versammelt, einige greifen wir heraus: Da wäre Pianist Andile Yenana, der neben der Produktion einer Jazz-Soloplatte seine Tastenkünste auch schon für Vokalistinnen wie Sibongile Khumalo und Suthukazi Arosi zur Verfügung gestellt hat. Herbie Tsoaeli (b) und Lulu Gontsana (dr) kommen ebenfalls aus der quicklebendigen Jazzszene der Republik, versammelten sich mit Yenana in der Formation Voice. Gitarrist Louis Mhlanga hat neben seiner Arbeit mit diversen südafrikanischen Top-Stars auch eine Kollaboration mit mit dem legendären King Sunny Ade aufzuweisen, und ist mit seinem zarten Ton auch schon einem deutschen Publikum bekannt. Greg Georgiades, Mitglied der unvergleichlichen Saitenmeister des Aquarian Quartets, streut unorthodoxe Oud- und Bouzouki-Tupfer ein. Als weiterer Schlagwerker zu hören ist Kesivan Naidoo, der außer bei Miriam Makeba auch für Jimmy Dludlu aktiv war und als einer der heißesten Perkussionisten im Süden des Kontinents gilt. Viele der Arrangements werden außerdem von ausgetüftelten Streichersätzen oder Bläser-Kontributionen gekrönt, in denen immer wieder der wendige Flötist Kelly Petlane heraussticht. All diese Musiker bereiten jedoch nur das adäquate Setting für eine Vokal-Persönlichkeit, die auch mit 72 Jahren noch strahlend und kraftvoll in allen Liedern residiert. Ob wehmütig wie in der bezwingenden Liebesballade "Love Tastes Like Strawberries", neckisch wie im Bossa-Klassiker "Mas Que Nada", mit unbeschwerter Fröhlichkeit in "I Shall Sing" oder funky in "African Convention" — Miriam Makebas Stern leuchtet heller denn je.

Die Originalversionen der ausgewählten Titel datieren zurück in die Jahre 1960-1979 und das hat seinen besonderen Reiz. Denn gerade die jüngeren unter ihren Fans hierzulande haben Miriam Makeba in der letzten Dekade vor allem durch ihren mächtigen Afropop-Sound der Post-Apartheid-Ära kennen gelernt. Viele wissen nicht mehr, dass die Diva im Laufe ihrer langen Karriere Jazzballaden, brasilianischen Liedern und engagierten Funk-Hymnen ihren ganz persönlichen Stempel aufgedrückt hat, in vielen Genres und Sprachen ihre betörenden Vokalspuren hinterlassen hat. Fast alle der Platten von damals sind schon längst aus den Regalen der Plattenläden verschwunden und nicht mehr erhältlich. Und in Miriams Heimat waren sie früher ohnehin nicht zugänglich. Reflections legt von allen Facetten der Sechziger und Siebziger ein schönes Zeugnis ab, preist die Blütezeit der "Mama Africa". Miriam Makeba sagt im Interview mit Wolfgang König selbst dazu: "Ich bin glücklich, dass ich meine Karriere so Revue passieren lassen kann. Viele der Songs sind nicht wirklich neu, doch bei mir zuhause wurden sie bisher nie veröffentlicht. Es ist also schön, dass ich sie mit der Energie von heute nochmals aufnehmen konnte - für das südafrikanische Volk und die Welt."

Die Tracks:

Mit einem typisch südafrikanischen Groove eröffnet Miriam Makeba die einzigartige Rückschau auf die zwei turbulentesten Dekaden ihrer Laufbahn: "Iyaguduza" stammt aus dem 1979 veröffentlichten Album Comme Une Symphonie D’Amour und ist in der Neufassung der optimale Einstieg: Die swingenden Gitarrenriffs von Johnny Chonco und der fröhliche Chor unter der jubilierenden Leadstimme, bestehend aus Enkelin Zenzi, Miriams langjährigem Backgroundsänger Zamo Mbutho und Produzent Madlingozi, fügen sich zu einer schönen Auftakthymne, die in ein bezauberndes Streicherfinale mündet. Textlich geht es um eine Frau, die ihres ständig volltrunkenen Ehemanns überdrüssig wird.

Das unbeschwerte "I Shall Sing" stammt aus der Feder von Van Morrison. Kurioserweise findet es sich auf keinem der regulären Alben des Iren, lediglich auf Bootlegs und raren Tapes, wurde aber u.a. von Toots & The Maytals sowie Art Garfunkel gecovert. Miriam Makebas griff das Stück gleich im Jahr seiner Komposition auf, für ihr Album Keep Me In Mind von 1970, das während ihres Guinea-Exils erschien. In der neuen Version begeistert der folkige Song vor allem durch seine lockere Akustiklaune und das meisterliche Flötensolo von Kelly Petlane.

Hugh Masekela und Stanley Todd schrieben "African Convention" als Beitrag zur panafrikanischen Bewegung, die dazu aufrief und —ruft, alle Kräfte des Schwarzen Kontinents zu einen. Die Lyrics haben gerade heute wieder enorme Relevanz, musikalisch dagegen ist die Siebziger-Atmosphäre in einem Upbeat-Groove mit funkigen Horns eingefangen.

"Quit It" zeichnet sich ebenso durch engagierte Lyrics aus: Hier geht es um den eindringlichen Appell, sich von der durch Drogen geschaffenen Phantasiewelt zu verabschieden. Miriams Vocals sind hier zugleich mahnend und betörend, das Setting lässt unterschwellig die Siebziger wieder auferstehen, mit Wah Wah-Gitarre, hintergründigen Fender Rhodes und verhallten Streichern. Das Stück hat Miriams Tochter Bongi (Nelson Lees Mutter!), die 1986 mit 34 Jahren verstarb, zusammen mit Caiphus Semenya geschrieben. Auf A Promise von 1974 findet sich die Originalversion.

Muss man über "Pata Pata" noch Worte verlieren? Da antworten wir mit einem kräftigen Ja! Denn diese Version des von Miriam selbst komponierten Songs, der durch all die Jahre seit seiner Schöpfung 1956 zu ihrer tönendenVisitenkarte wurde, sticht unter allen Einspielungen heraus. Nach dem stark modernisierten "Pata Pata 2000" auf Homeland lässt der Arrangeur hier wieder swingenden Charme walten: Jazzig federnder Bass, flinkes Schlagzeug, sparsame Trompeten-Einwürfe und muntere Streicherblitze kehren einen ursprünglicheren Charakter jenes Liedes hervor, mit dem vor 37 Jahren die erste afrikanische Frau die US Top Ten eroberte.

Mit dem "Click Song" (ursprünglich: "Qongqothwane") schließt sich gleich Miriam Makebas zweiter großer Hit in der Sprache Xhosa an. Die Manhattans hoben dieses sehr traditionell gefärbte Kleinod, inspiriert durch traditionelle Melodien schon in den frühen Fünfzigern aus der Taufe - jene Vocal-Boys, in deren Reihen die junge Miriam seit 1952 musikalisch groß wurde. Gleich am Anfang ihrer Solokarriere griff sie den Titel dann auf und spielte ihn 1960 in New York ein. Das lockere Piano von Bushy Seathlolo und Kelly Petlanes kuriose Penny Whistle setzen in der Version von 2004 schöne Gegenakzente zum bezwingenden Chorsatz.

In durch und durch jazzige Gefilde tauchen wir mit "Where Are You Going?" ab — und es mag so manche(n) überwältigen, wie leichtfüßig die Diva aus dem Township hier die Atmosphäre eines verrauchten Jazzkellers mit ihrer Stimme auffängt. Jazziges Ambiente ist beileibe keine neue Errungenschaft in der Welt von Miriam Makeba: Das Thema, die seinerzeit ein junger Hugh Masekela geschrieben hatte, findet sich bereits auf ihrem herausragenden Album The Magnificient Miriam Makeba aus dem Jahre 1966, der Zeit, in der sie vorübergehend mit Masekela liiert war. Miriams Piano-Partner in dieser intimen Ballade ist Andile Yenana.

Mit "Symphonie D’Amour" demonstriert die "Mama Africa", dass sie auch eine frankophone Ader hat. Die einfühlsame Ballade bildete 1979 das Titelstück zur gleichnamigen LP — in der vorliegenden Version haben Peter McLea und Enkel Nelson Lee verschwenderische Streicher-Arrangements in die Textur eingewoben.

"Ring Bell" stammt vom legendären Pata Pata-Album aus dem Jahr 1967. Der Song wurde von Jerry Ragavoy und George Weiss geschrieben, der auch für Louis Armstrongs "What A Wonderful World" verantwortlich ist. In der vorliegenden Fassung ein schlichter, nach vorne blickender Popsong mit minimalem Bläser-Backing und untermalenden Piano-Linien.

Mit einer Doppelsequenz aus ihrem brasilianischen Repertoire unterstreicht die Diva nun die große Rolle, die auch das Latino-Repertoire in ihrem weiten Spektrum eingenommen hatte. Einige werden sich vielleicht erinnern, dass mit Sivuca (g, acc) in den Sechzigern ein Brasilianer federführend in ihrer Live- und Studioband war. Besonders wichtig waren immer wieder die Bossas des frühen Jorge Ben, auch hier werden zwei Songs aus seiner Werkstatt neu aufbereitet. Miriam im Gespräch mit Wolfgang König über ihre brasilianischen Vorlieben: "Ich liebe Jorge Ben und brasilianische Musik aus dieser Zeit. Und ich war ja immer neugierig darauf, Lieder aus anderen Ländern zu singen. Natürlich werde ich einen brasilianischen Songs niemals wie eine Brasilianerin interpretieren, aber es macht mir Spaß, es zu versuchen. Und ich bin mir sicher, dass sie sich freuen, wenn jemand anderes ihre Lieder aufgreift." Da wäre nun zum einen "Mas Que Nada", eine Hymne der Bossa-Ära, hier mit reduziertem Jazz-Trio. Das Stück tauchte bei Makeba erstmals 1967 auf der Scheibe All About Miriam auf.


Zum anderen werden wir Ohrenzeuge des unbekannteren "Xica Da Silva", das Ben in seiner Funk-Phase komponierte, als Titelmelodie zum gleichnamigen Film von Carlos Diegues. Der Streifen erzählt die Geschichte der schönen Sklavin Xica aus dem Minas Gerais des 19. Jahrhunderts, die den Kolonialisten den Kopf verdreht. Makebas Originalversion befindet sich auf Country Girl von 1978. Durch die imposante Perkussions-Abteilung, mit der Nelson Lee die Samba-Atmosphäre trefflich eingefangen hat, und wiederum ein brillantes Flöten-Intermezzo von Kelly Petlane, wird diese fast epische, trancehafte Adaption zu einem der definitiven Highlights von Reflections.

"Love Tastes Like Strawberries" ist vielleicht die intensivste "Reflection", die Miriam Makeba für ihre Retrospektive ausgewählt hat. Das ergreifende, sehnsüchtige Lied von S. Jones und BJ Solomon fand sich schon 1960 auf dem Album The Many Voices Of Miriam Makeba, zählte später dann auch zum Repertoire einer Nana Mouskouri. Vor vielschichtigem Schlagwerk, verhallten Gitarrenarpeggien und tremolierenden Streichern, entfaltet Miriam Makeba hier ihre ganze würdevolle und zugleich anmutige Vokalkunst.

Zum Ausklang geleitet uns die schwarze Diva nochmals auf die jazzige Sonnenseite ihrer reichen Song-Palette. "I’m In Love With Spring" ist eine bezwingende Melodie von William Salter (zweimaliger Grammy-Gewinner für Produktionen mit den Bee Gees und Grover Washington) und George Patterson, die sie 1966 erstmals aufgenommen hatte. Und zunächst geschieht vor reich ausgestaltetem, orchestralem Ambiente in Gestalt einer dunklen Männerstimme ein unerwarteter Auftritt: Es ist Nelson Lee, der hier ein wunderbares Gesangspaar mit seiner Großmutter abgibt, die dann in den flotten Mittelteil einstimmt. Symbolisch markiert diese lichtdurchflutete Ode an den Frühling den Schlusspunkt dieses einzigartigen Albums.

Die große Dame der gleichermaßen afrikanischen wie global verständlichen Vokalmusik hat ihren Herbst noch keineswegs erreicht. Reflections ist kein Abgesang auf vergangene Epochen, sondern wirkt vielmehr wie ein äußerst vitaler Besuch bei alten Bekannten, die sie schon lange nicht mehr gesehen hat, bei ihren Lieben, die nun erstmals an einer festlichen Tafel vereint sein können. Zugleich stellt es, zum 10. Jahrestag der ersten freien Wahlen in ihrer Heimat, ein faszinierendes Dokument der Stärke von Südafrikas Musik dar.

 

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