Africando

MARTINA

EXIL 2665-2 | LC 08972 | VÖ: 26.05.2003 | DISTRIBUTION: INDIGO

 

Trifft der Begriff "Melting Pot" auf irgendeine Combo zu — dann ist es diese. Afrikas schillerndste Salsa-Bigband hat sich in der Dekade ihres Bestehens auf fünf Studio-Alben in den Olymp des Afro-Latino-Genres katapultiert. Mit gutem Gewissen können wir sagen, dass sich karibischer Hüftschwung und die smarten Stimmen Schwarzafrikas nirgendwo so packend und natürlich verschmelzend begegnen wie bei Africando, der Formation um das Mastermind Boncana Maiga. Nach ihrem Meisterstreich Betece (EXIL 9766-2), der das neue Salsa-Millenium mit Gastauftritten von Salif Keita oder Lokua Kanza an der Spitze der Weltmusikcharts glanzvoll einläutete, und dem nachfolgenden Doppel-Album Africando Live mit den Hits aus ihrer ganzen Laufbahn, sind die interkontinentalen Herren zügig mit neuen Surprisen zurück: Das elegante neue Album Martina ist ihr mittlerweile siebtes Werk — und diesmal verzeichnet man auf der Liste der Eingeladenen sogar Ismael Lô. Musikalisch konzentrieren sich Africando diesmal vor allem auf die descarga, das explosive Improvisieren mit dem Charakter einer Jam-Session.

Noch haben wir die atemberaubenden Live-Versionen des CD-Mitschnitts aus dem Pariser "Zénith" im Ohr (Live - EXIL 0543-2), auf dem Africando mit dem zündenden Backing von multinationalen Instrumentalisten ihre Hits Revue passieren ließen und Bilanz eines überragenden afro-karibischen Siegeszuges zogen. Der begann 1993, als Boncana Maiga, ein kuba-verrückter Musiker aus Mali, Butter bei die Fische machte. In den Sechzigern hatte Maiga während seines Aufenthaltes in Havanna die legendäre Formation Maravillas de Mali gegründet, später mit den Fania All Stars getourt und in Abidjan ein Studio hochgezogen, durch das Berühmtheiten wie Alpha Blondy oder Mory Kanté defilierten. Unter anderem mit den Senegalesen Medoune Diallo und Pape Seck, die schon beim Orchestre Baobab und Number One De Dakar (einem Ableger der Star Band, in der Youssou N’Dour später debütierte) Meriten gesammelt hatten, bahnte er nun einen neuen Pfad für eine schlagende Verbindung aus Afro-Latino-Elementen der verschiedenen Kontinente. Zur Seite stand ihm dabei der wichtigste Produzenten Afrikas, Ibrahim Sylla. Und die Brücke über den großen Teich stellte der in New York erfolgreich wirkende Salsa-Mogul Ronnie Barro her, mit dessen Halbschwester Maiga liiert war. Baro brachte die Sound-Errungenschaften der Big Apple-Latinos zusammen mit dem Karibik-Craze der Westafrikaner, die die ursprünglich afrikanischen Rhythmen der Salsa seit den Vierzigern reimportiert hatten.

Die drei äußerst erfolgreichen Africando-Alben von 1993-1996 ("Trovador", Sabador" und "Gombo Salsa") kündeten davon, dass hier die ersten wirklichen Salseros von Weltformat zu Werke gingen: Die beiden Arrangeure gliederten in die geschmeidigen Kuba-Rhythmen der Band Stimmen wie die von Benins Salsa-King Gnonnas Pedro oder Roger "Shoubou" Eugène aus Haiti ein, außerdem immer wieder Senegals Legende Pape Seck, die dann leider verstarb. Seitdem haben sich, über die ohnehin illustre Kernbesetzung hinaus, Star-Crooner der Salsa von hüben und drüben des Atlantiks bei der Bigband die Klinke in die Hand gegeben. Mit dem vierten Opus "Baloba" geriet Africando durch die bezwingende Tanz-Adaption von Khaleds "Aicha" weltweit in die Schlagzeilen. Auf Betece, dem Millenium-Album voll unorthodoxer Neo-Versionen von Klassikern der Afro-Salsa, gipfelte die bisherige Serie der Gästeverpflichtungen schließlich in glanzvollen Auftritten von Lokua Kanza und Salif Keita. Ferner wurde der guineanische Griot Sekouba Bambino Diabate zum festen Mitglied und erstmals tummelte sich auch Amadou Balake, ein Youngster aus Burkina Faso unter den Sängern.

Beiden begegnen wir wieder auf dem neuesten Oeuvre Martina. Auf der Achse des Guten zwischen Abidjan, Dakar, New York und Paris entstand mit dem siebten Silberling ein reifes Werk, das vom derzeitigen Schöpferdrang der Truppe kündet. Der Descarga sind sie diesmal besonders verpflichtet, dieser ungezügelten Improvisation über einem kreisenden Grundmuster, die Israel "Cachao" Lopez, Onkel des Buena Vista-Bassisten "Cachaíto", in den Vierzigern mit dem Mambo aus der Taufe gehoben hatte. Und dadurch fahren die Stücke, unter ihnen neben den Klassikern diesmal auch etliche Neukompositionen, noch eine Spur zündender ins Tanzbein.

Die vokalen Aspekte kommen bei aller rhythmischen Fulminanz natürlich nicht zu kurz. Wir reden hier schließlich über die Formation mit den vielfältigsten Kehlen zwischen Hudson River und Kongo-Strom! So werden diesmal neben Sekouba Bambino, Gnonnas Pedro, Shoubou, Amadou Balake, Ronnie Barro und Medoune Diallo, letzterer im übrigen der einzig Verbliebene der Urbesetzung, wiederum eine ganze Reihe neuer Gesichter ohrenfällig. Allen voran Ismael Lô, der mit seiner einzigartigen Karriere zwischen Afro-Folk und Mbalax immer wieder Youssou N’Dour den Rang als Senegals Popstar Nummer Eins streitig macht. Lô hat für seinen Abstecher in die Salsa die anrührende Folk-Ballade "Lote Lô" (3) aus seinem Repertoire gekramt, die hier mit keckem Piano und knackigem Bläsersatz eine gewaltige Metamorphose durchgemacht hat. Mit Nyboma ist ein Veteran der kongolesischen Rumba zu Gast, der in den drei Jahrzehnten seiner Karriere u.a. musikalischer Partner von Sam Mangwana, Koffi Olomide oder Tabu Ley gewesen ist. In den schmelzend-wiegenden Einstiegsversen und dem nachfolgenden Descarga-Feuer in "Référence" (10), einstmals ein Hit für Papa Wemba, zeigt sich erneut wie kompatibel Karibik und Zentralafrika sind. Nyboma teilt sich seine Vocals mit Landsmann und Soukous-Star Emeneya Kester. Der vierte neue schwarzafrikanische Name in den Reihen der Africando-Riege ist Seka, ein ehemaliges Mitglied der Royal Band de Thies, das in "Dioumte" (8) die erhabenen Gesangslinien in der Sprache der Wolof vor einem swingenden Anwort-Chor präsentiert. Mit Joe King hat auch ein Puerto Ricaner und damit Landsmann von Ronnie Barro zu den All Stars gefunden, im peppigen "Abibou" (9) stellt er seine Qualitäten unter Beweis.

Alles andere als von Pappe sind auch die Beiträge der Stammsänger: Sekouba Bambino betört durch die Paarung von guineanischen Griot-Künsten mit Salsa-Backing in "Temedi" (2), und der einzigartig flexible Tenor von Medoune Diallo erweckt den 1975er-Klassiker "Fouta Tooro" (5) des Orchestra Baobab zu neuem spritzigen Leben. Instrumentale Highlights gibt es ebenfalls zuhauf: im partygelaunten "Azo Nkplon" entspinnt sich ein witziger Dialog zwischen Flöte und Wah-Wah-Gitarre, während "Tiembela" (7) mit dem glitzernden Solo der Tres eher einen Son-Charakter hervorkehrt. Mit Flöte, Streicherbegleitung und einem wunderschönen Violinsolo des New Yorker Exil-Kubaners Yrin Yeras mag "Lindas Africanas" (1) an den Charanga-Stil eines Orquesta Aragón erinnern — und hier, in diesem luftigen Cover der "Tres Lindas Cubanas", treten alle Herren zusammen ans Mikro. Die Produktion teilt sich Boncana Maiga diesmal mit einem Gütesiegel der Musica Latina par excellence: Kein Geringerer als Nelson Hernandez hat arrangiert und dieser Pultkünstler stand zuletzt in Diensten von Celia Cruz, Oscar De León und José Alberto "El Canario".

Tja, das verflixte siebte Album! Martina reflektiert mit bezwingendem Charme, wie sich die Latino-Szene New Yorks mit den afro-karibischen Qualitäten aus dem Senegal, der Elfenbeinküste, Benin, Guinea und dem Kongo zu einem unwiderstehlich sonnigen Mix verbandeln — die Salsa des 21. Jahrhunderts kommt aus Afrika.

 

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