Wagner Pá

El imparable transeúnte
(Der unermüdliche Passant)

EXIL 2641-2 | LC 08972 | VÖ: 10.06.2003 | DISTRIBUTION: INDIGO

Mit diesem launigen Statement startete Anfang letzten Jahres ein schräger Vogel aus dem vermeintlichen Nichts in die deutsche Weltmusik-Landschaft. Auf dem naiv gemalten Cover seines Erstlings Brazuca Matruca schaute er uns aus dicken Brillengläsern und mit rostbraunen Rastazöpfen entgegen — ein Typ, der geradezu zum Entdecken einlud. Und wir wurden nicht enttäuscht: nonchalante, spontane Miniaturen mit Tupfern aus Samba, Bossa, Reggae und einem Schuss flubbernder Elektronik machten Wagner Pá zum heimlichen Liebling der Sommerfestivals, brachten ihm Porträts bei VIVA, im FOCUS und im NDR ein, schließlich nahm ihn die Jury gar in die Bestenliste der Deutschen Schallplattenkritik auf. Rechtzeitig zur nächsten Freiluftsaison ist der lässige Wahlkatalane mit brasilianischen Roots zurück — und beweist, dass "Arsch der Welt" natürlich blankes Understatement ist. Der Paradiesvogel Wagner nistet schließlich in der Zona Bastarda von Barcelona, dem derzeitigen Mekka der alternativen Latino-Szene. Und die hat ihn auch auf dem zweiten Werk zu höchst unkonventionellen Höhenflügen voll sonniger, intimer Poesie inspiriert — oder wie er selbst sagt: zu "pocket music direkt aus dem Herzen."

"Sowohl hier in Europa als auch in Südamerika fühle ich mich als jemand, der zugleich von nirgendwo und von überall her kommt. Ein seltsames Gefühl", bekennt Wagner, der in Rio und Brasilia aufgewachsen ist und mit 16 nach Barcelona kam — dank seiner Mutter, die dort einen Diplomaten-Job annahm. Mit einem Bein im Samba-Funk seines großen Idols Jorge Ben und im Bossa von João Gilberto, mit dem anderen in der wilden Brutstätte der untergründigen katalanischen Mischküche — ideale Voraussetzungen für experimentierfreudige Gemüter. In Schuppen wie dem "Tarantos" oder "Bikini" avanciert Wagner zum gefragten DJ mit Funk und schwarzafrikanischer Musik, zählt dann später zu den Gründungsmitgliedern des Club Mestizo, Brennspiegel und Werkstatt der aufkeimenden Alternativ-Szene von "Barca" (wie Barcelona von Szene-Aktivisten liebevoll genannt wird). "Der Club war sehr wichtig, denn hier konnten sich afrikanische und lateinamerikanische Musiker begegnen, Bands wie Macaco oder Dusminguet herausformen. Es gab hier regelmäßige Tanzabende für die hispano-senegalesischen Leute und einen afrikanischen Friseurladen. Hier begann ich auch zu komponieren und für andere Musiker wie z.B. den baskischen Rocker Fermin Muguruza zu arbeiten." Gefragt nach den Bedingungen, die eine solch bunte Szene begünstigen, singt er das Loblied von seiner Wahlheimat: "Wir haben hier den Einfluss des Mediterranen und eine sehr experimentelle Electronica-Gemeinde, außerdem unseren Mestizo-Zirkel, das alles hat unseren Ruf außerhalb Spaniens begründet. Viele Franzosen kommen hierher, um sich Anregungen zu holen. Schau Dir Manu Chao an, Frankreich wurde ihm zu hoch-näsig und zu groß, hier ist alles überschaubar und nicht so professionalisiert. Und es gibt hier keine Ghettos verschiedener Genres, ich kann hier in einen afrikanischen Club gehen und mit Kruder & Dorfmeister grooven, und anschließend gehe ich in ein Jazz-Konzert."

Sein Debut Brazuca Matraca ("Plaudernde Brasilianer"), das ursprünglich nur als Demo-Tape geplant war, reflektiert die schrankenlose, lustvolle Attitüde Barcelonas. Viele von uns haben noch die schlichten Melodien und Arrangements mit Gitarren, Flöten, cavaquinho (eine Art Laute, wie sie in Portugal und Brasilien gespielt wird) und Percussion im Ohr, die mit den engsten Freunden aus der Clique des Club Mestizo eingespielt wurden, produziert von Dusminguets Toti Arimany. Auch Manu Chao liess es sich nicht nehmen auf dem Album seines Freundes ein paar unverwechselbare nasale Vocals einzustreuen. Polternde Salsa-Samples, lakonische Gesänge zur Indio-Flöte, Wortspiele, mit denen er afro-brasilianische Gottheiten anruft oder die Globalisierung karikiert — kann sich diese geballte Ladung an Esprit nochmals wiederholen?

Sie kann, wie El Imparable Transéunte zeigt! Mit seinen Kumpanen aus dem Viertel hat Herr die Furcht des Musikers vor dem zweiten Album ganz locker weggesteckt. Als "nicht zu stoppender Passant" (so die Übersetzung des Titels) schlendert er genauso unbekümmert und lakonisch auf imaginären Spielwiesen und mosaikgepflasterten Gassen aus Samba, Reggae, Funk, Tango und Drum’n’Bass umher, um die Klötzchen zu bunten Gebilden aufzutürmen.

Die Knöpfe des diesmal unter professionellen Bedingungen aus den Reglern gezauberten Opus dreht wiederum Toti Arimany, der durch seine dezente Beherrschung der Electronics in der Szene hohe Beachtung geniesst und auch von Manu Chao für Remixe verpflichtet wird. Die entspannt-verschmitzten Vocals, sowie einige gezupfte Beiträge und Flötentöne kommen wie gewohnt von Wagner selbst. Mit dabei sind auch wieder Cesc Pascual und Fede Salvá, fast in allen Songs von spanischer Akustikgitarre bis zu rockigen Einlagen die zwei Saitenkünstler an seiner Seite sowie sein Landsmann Norberto Farinha mit einfühlsamer Bass-Bedienung. Juan Cruz alias "Mr.Pluma" und Zé Cruiz zeichnen als Neuzugänge in Wagners Barcelona-Bande für das Perkussive verantwortlich. Dazu gesellen sich einige veritable Überraschungs-Musikanten, wie der Gitan-Gitarrist und Banjo-Spieler Daniel Calabrita. Ehrensache war es für Friedo Josch (Dissidenten), während einer Stippvisite in Barcelona den Song "Pensando En Ti" mit spritzigen Improvisationen aus der Querflöte zu belüften - sein Labelkünstler hatte ihn dazu eingeladen, nachdem er von der instrumentalen Seelenverwandtschaft Kunde bekommen hatte. Insgesamt können wir eine leichte Verschiebung in Richtung alte Heimat verbuchen: Mehr als auf seinem Debüt singt Wagner in Portugiesisch, greift von griffigen Bahia-Anleihen bis zu melancholischem Bossa in eine ganze Palette brasilianischer Wurzeln.

Parallel dazu siedeln aber auch wieder die vertrauten, verschrobenen Dub- und Reggae-Strukturen, alternierend mit funkigen Scratches, sehnsüchtigen Akkordeon-Phrasen, Flöten-Schnipseln und obskuren Sounds aus scheinbar anachronistischen Keyboard-Programmen. Und dies alles in der gewohnten Unplugged-Manier aus dem liebenswerten Umfeld einer kreativ-chaotischen Hinterhof-Werkstatt.

"In meinem Solarplexus schlägt friedlich ein Herz — und ich weiss, dass es dazu fähig ist, noch viel kräftiger zu schlagen" — singt Wagner Pá in einem seiner neuen Songs. Barcelonas Untergrundheld hat eben nicht nur sympathische Flausen im Kopf und den Rhythmus in den Hüften, sondern auch das Herz am rechten Fleck. Wie der Fußgänger auf dem symbolträchtigen Cover trägt er es unverblümt spazieren. Und so gelingt dem Sunnyboy eine selten erreichte Ganzkörper-Musik.

Anspieltipps:

- Pa Ti Y Pa Mi (1) : Ein lockerer Samba-Reggae-Groove mit der knackigen Wah-Wah-Gitarre von Cesc Pascual.

- No Mata (6): Über einem simplen Dub steigen flinke Schlagzeug-Loops ein und das Keyboard nölt mit Wagner um die Wette. Der Clou jedoch ist das völlig unerwartete Banjo-Pluckern von Daniel Calabrita.

- Ni Sé Si (10): Ein wunderschönes Lied vom Fliegen — eine légère Drum’n’Bass-Grundierung bietet viel Platz für die herumschweifende Stimme der gypsy-gefärbten Stimme von Paloma Povedano, die hier mit Wagner duettiert.

- Verdad Camuflada (11): In einem wahren Kleinod verdichten sich Joan Garrigas Akkordeon, spanische und elektrische Gitarre zu einem Zwitter aus Tango, Rumba und Rocksong, in dem Wagner über die verschiedenen Wahrheiten der Wahrnehmung philosophiert.

 

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